Im Thriller "Sag nicht, wer du bist!" wird ein junger Mann in einen Strudel aus Gewalt und emotionaler Abhängigkeit gerissen. Shooting-Star Xavier Dolan versucht, seinen Hang zum Exzess abzuschalten. Zum Glück gelingt ihm das nicht ganz.
Die Popultur muss sich oft sagen lassen, sie sei dem Jugendwahn verfallen, doch wie sehr gilt das für das Kino: Junge Genies wurden im Film stets mehr als anderswo beneidet und bewundert, weil die Mühlen des Mediums so beschwerlich sind. In den alten Studios musste man sich lange hochdienen, um Regie führen zu dürfen. Und in den heutigen Filmhochschulen hat mancher seine Jugend schon verschwendet, bevor der erste persönliche Langfilm erst möglich ist.
Seit nunmehr fünf Jahren feiert die Festivalwelt den inzwischen 25-jährigen Xavier Dolan. Es gibt wenige Regisseure, die mit 25 Jahren überhaupt schon Langfilme vorweisen können. Bei Xavier Dolan sind es schon fünf, und alle davon gingen um die Welt, seit der Franko-Kanadier mit 19 Jahren seinen Erstling „I Killed My Mother“ so wagemutig drehte, als wäre es sein letzter. Wie ein Schrei in Bildern ging die autobiographisch gefärbte Geschichte vom Mutterhass eines Siebzehnjährigen in Cannes durch Mark und Bein.
Mit „Sag nicht, wer du bist!“ bringt der engagierte Tübinger Verleih Koolfilm nun schon den vierten Dolan-Film ins Kino, der fünfte, „Mommy“, wurde in Cannes zuletzt mit einem Jurypreis geehrt.
In diesem Werkfluss wirkt „Sag nicht, wer du bist“, wie ein Zwischenstopp am Rande der Autobahnen opulent orchestrierter Gefühle. Was nicht heißt, dass dieser Film weniger emotional wäre. Nur erreichen uns seine Schwingungen diesmal eher auf den Nebenwegen.
Dolan selbst spielt Tom, einen jungen Mann mit blondierten Haaren, der zu den ersten Filmbildern ein Auto steuert. Das zeitlose Film-Chanson, das aus den Autolautsprechern dröhnt, kennt er auswendig, es ist eine französische Version von Michel Legrands „The Windmills of your Mind“. Aber es ist kein Mitsingen ausgelassener Hingabe, wie man es aus so vielen Filmen kennt, auch von Dolan selbst. Der Filmemacher hält sich mit dem Schwelgen in der eigenen auffallend Plattensammlung zurück.
Tom fährt zur Trauerfeier seines Geliebten Guillaume, der offenbar Selbstmord begangen hat. Doch die gedrückte Stimmung, die dem Gast nicht nur bei der Familie begegnet, wo der Verstorbene seine sexuelle Orientierung geheim hielt, sie liegt über dem ganzen ländlichen Ort wie die feuchte nebelige Luft. In Dolan, diesem Meister des Fortissimo, dessen Inszenierungen sich auf expressives Spiel verlassen, steckt, wenn er nur will, also auch ein Landschaftsmaler.
Angespannte Stille
Die angespannte Stille, auf die Tom in diesem Ort trifft, ist eine Atmosphäre latenter Gewalt. Im Zentrum dieser schwelenden, schließlich ausbrechenden Aggression steht Francis (Pierre-Yves Cardinal), der Bruder des Toten. Er bedroht Tom, will ihn zwingen, sich nicht gegenüber seiner Mutter zu offenbaren, sondern stattdessen seine Version der Geschichte zu bezeugen: Sarah (Evelyne Brochu), eine gemeinsame Kollegin Toms und Guillaumes, soll als angebliche Geliebte des Verstorbenen firmieren.
Zunächst scheint sich der passive Besucher der selbsternannten Autorität zu beugen und spielt mit. Zusehends fasziniert ihn Francis‘ widersprüchliche Ausstrahlung, seine lächerliche Überinszenierung als Frauenfreund des Dorfes ist offensichtlich nur Fassade. Echt aber ist die Gewaltbereitschaft. Verzweifelt bittet Tom nun Sarahm hinzu zu kommen. Mit ihrer Ankunft droht die Situation zu eskalieren – doch es eröffnet sich zugleich noch eine überraschende Facette des Dramas.
Kaum ein Regisseur kann das Geheimnis mit so offensichtlichen Mitteln schüren wie Dolan – ohne es zugleich zu verraten oder gar billig zu verkaufen: Expressive Farbdramaturgie und eine hoch emotionale Filmmusik sind seine Mittel, hinzu kommt ein verwegener Formatwechsel hin zum extremen Breitbild während eines dramatischen Höhepunkts. Es ist diese Mischung, die seinen Filmstil einerseits so eingängig, anderseits aber auch so polarisierend macht: Man ist es gewohnt, anspruchsvolles, psychologisches Kino mit einem gewissen Minimalismus zu verbinden, der sich von Ingmar Bergman und Robert Bresson bis zu den Dardenne-Brüdern tradiert hat.
Filmstart: 21.08.2014
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©red/patrick