Es könnte doch so einfach sein wie vieles andere auch: Hat der Vater eine dunkle Hautfarbe, wird das Kind sie auch haben. Sprechen die Eltern deutsch, spricht es das Kind auch. Aber Homosexualität? Ist sie ein Produkt unserer genetischen Veranlagung oder des sozialen Umfelds? Eine Frage, für die es bis heute keine eindeutige Antwort gibt.
Angeboren oder anerzogen?
Seit dem 19. Jahrhundert fragen sich Wissenschaftler, wie es dazu kommen kann, dass sich ein Mann nicht in eine Frau, sondern in einen anderen Mann verliebt. Der deutsche Jurist Karl Heinrich Ulrichs war einer der Ersten, die ihre Theorie dazu veröffentlichten. 1864 bezeichnete er den Schwulen als "Urning" und ging davon aus, dass dieser Mensch zwar im Körper eines Mannes geboren sei, allerdings eine weibliche Seele habe. Er erfand somit eine Art "drittes Geschlecht" neben Mann und Frau, das die Liebe unter Männern erklären sollte. Kritiker warfen ihm jedoch vor, dass er damit weder die lesbische noch die bisexuelle Neigung erklären könne.
Das Wichtige an seinem Ansatz bleibt aber bis heute, dass er Schwulsein nicht als Krankheit, sondern als angeborenes Phänomen ansah. Der Sexualforscher Magnus Hirschfeld sorgte dafür, dass diese Idee auch nach Ulrichs Tod weiterlebte. Er erforschte nicht nur die Ursachen der Männerliebe, sondern sprach sich öffentlich für die angeborene Homosexualität und damit für deren Straffreiheit aus. Magnus Hirschfeld gilt als Begründer der ersten Homosexuellen-Bewegung in Deutschland.
Sigmund Freud lehnte die Theorien von Ulrich und Hirschfeld ab und schlug stattdessen einen anderen Weg zur Erklärung ein: Der österreichische Psychoanalytiker stellte 1905 in "Drei Abhandlungen über die Sexualtheorie" die These auf, dass alle Menschen von Geburt an bisexuell seien. Erst die Entwicklung in der Kindheit entscheide darüber, ob sich eine hetero- oder homosexuelle Neigung ergebe. Im Falle eines "abwesenden Vaters" steige nach der Freud'schen Theorie die Wahrscheinlichkeit, dass der Sohn schwul werden könnte. Das distanzierte Verhältnis zum Vater führe dazu, diese Lücke später mit einem männlichen Partner schließen zu wollen.
Wie entsteht diese Liebe?
Genetische Forschung und der Einfluss der Hormone
Dank des medizinischen Fortschritts konnten die Wissenschaftler ab den 1980er Jahren noch intensiver nach den Ursachen der Homosexualität forschen. 1993 verkündete der Amerikaner Dean Hamer, er habe das "Schwulen-Gen" entdeckt. Bei der Untersuchung von männlichen Zwillingen stellte er bei beiden eine bestimmte Abweichung des X-Chromosoms fest. Da die Brüder beide homosexuell waren, glaubte er, des Rätsels Lösung endlich gefunden zu haben. In den folgenden Jahren versuchten andere Forscher Hamers These zu bestätigen, allerdings ohne Erfolg. Die Existenz eines einzelnen "Schwulen-Gens" konnte somit ausgeschlossen werden.
Doch die Idee, Homosexualität könne tatsächlich genetisch bedingt sein, wurde deswegen keineswegs begraben. So fand 2005 auch der amerikanische Wissenschaftler Brian Mustanski heraus, dass bestimmte Erbgutbereiche auf Chromosomen bei homosexuellen Brüdern übereinstimmen, allerdings seien die Geschlechts-Chromosomen davon nicht betroffen. Er hielt fest, dass die Entstehung von Homosexualität neben anderen Faktoren zu einem gewissen Anteil von mehreren DNS-Abschnitten (Desoxyribonukleinsäure) beeinflusst werde – eine weitaus vorsichtigere Formulierung als damals bei Hamer.
Auch die Hormone, denen der Fötus vor der Geburt ausgesetzt ist, scheinen eine Rolle zu spielen. Im Tierversuch ließ sich bei Ratten etwas Interessantes beobachten: War ein ungeborenes Männchen im Mutterleib mit viel männlichem Geschlechtshormon konfrontiert, dann zeigte es auch später ein männliches Sexualverhalten. Wurde es dagegen nur niedrigen Konzentrationen ausgesetzt, so bevorzugte es später weibliches Paarungsverhalten. Auch auf die weiblichen Ratten ließen sich diese Beobachtungen übertragen. Natürlich hat die Übertragung auf den Menschen ihre Grenzen, aber auch bei uns scheinen vorgeburtliche Hormone die sexuelle Orientierung zu beeinflussen.
Gibt es ein "Schwulen-Gen"?
Biologischer Faktor X + Sozialer Faktor Y = Homosexualität
Nur noch wenige Wissenschaftler glauben, dass es eine ganz bestimmte Ursache für Homosexualität gibt. Während Daniel Hamer mit seiner vermeintlichen Entdeckung des "Schwulen-Gens" ausschließlich auf die biologische Erklärungskraft setzte, sehen die Anhänger der Queer-Theorie das kulturelle und soziale Umfeld als alleinige Ursache. Indem sie zwischen biologischem (sex) und sozialem Geschlecht (gender) unterscheiden, lösen sie sich von der traditionellen Geschlechtereinteilung zwischen Mann und Frau. Gender – und damit die sexuelle Orientierung des Menschen – wird nach dieser Ansicht also getrennt vom biologischen Geschlecht betrachtet.
Die mehrheitliche Überzeugung ist jedoch, dass biologische, kulturelle und soziale Faktoren nicht getrennt voneinander zu betrachten sind. Welche Voraussetzungen es genau sind, die Menschen homosexuell werden lassen, weiß man bis heute nicht. Im Gegensatz zu früher ist aber immerhin klar, dass es sich dabei nicht um eine Krankheit handelt, die durch eine Therapie behoben werden kann.
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©red