Wie zwei zueinander finden, die eigentlich schon immer zusammengehörten: Das wunderbar leichtfüßige Filmdrama "Miss Kicki" erzählt in leisen, aber treffsicheren Tönen von einer Frau, die ihrem Sohn endlich eine Mutter zu sein versucht.
Mutter des Jahres wird Kicki nicht mehr. Sie ist fast 50 Jahre alt, aber ihren 17-jährigen Sohn Viktor kennt sie kaum. Geht ja auch schwer, wenn man den Nachwuchs bei der eigenen Mutter ablädt und dann jahrelang das Land verlässt, um anderswo sein Glück zu suchen und höchstens im Alkohol zu finden.
Jetzt ist sie wieder daheim in Schweden und sehr allein. Zeit für eine Annäherung, findet sie und lädt Viktor zum gemeinsamen Urlaub in Taipeh ein. Der kann gar nicht fassen, dass seine Mutter auf einmal so viel Interesse ihm gegenüber zeigt. Hocherfreut sagt er zu, aber skeptisch ist er auch. So viel plötzliche mütterliche Fürsorge? Da muss es doch einen Haken geben.
Und oh ja, den gibt es. Was Viktor nicht weiß: Kicki hat im Internet einen reichen taiwanischen Geschäftsmann kennengelernt, mit dem sie regelmäßig zunehmend romantische Skype-Gespräche führt. Irgendwann hat er wohl mal gesagt, wie gern er Kicki auch im echten Leben treffen würde.
Sie hat das als Einladung verstanden oder wollte es zumindest so verstehen, auf jeden Fall will sie den Mann in Taipeh besuchen. Natürlich ohne ihm vorher Bescheid zu sagen.
Klingt nach einer katastrophalen Idee und ist es natürlich auch. Insgeheim weiß das auch Kicki, aber sie ist Expertin darin, sich die Realität so zurechtzubiegen, dass sie in die eigene Traumwelt passt. Für sie ist die Reise die letzte Chance auf ein bisschen Glück, so unwahrscheinlich klein die auch sein mag. Sie hat nichts zu verlieren, glaubt sie, stattdessen könnte sie einen Mann und einen Sohn gleichzeitig gewinnen. So etwas wie eine Familie, zum ersten Mal.
Eine herzhafte Infusion Gefühls-Melodramatik
"Miss Kicki", der erste lange Spielfilm des norwegisch-taiwanischen Regisseurs Håkon Liu, ist die Geschichte einer Frau, die verzweifelt das Richtige zu tun versucht und längst jedes Gespür dafür verloren hat, was das Richtige überhaupt sein könnte. Sie ist kein schlechter Mensch, ihr fällt es nur schwer, in ihrem eigenen (stets vom Alkohol vernebelten) Gefühls-Chaos auch noch Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen zu nehmen. Sie versteht nicht, dass es ihren Sohn verletzen könnte, dass er Taipeh allein erkunden muss, während sie auf ihrer eigenen Tour unterwegs ist und Viktor höchstens zum Abendessen sieht. Dass sie ihn behandelt wie einen entfernten Bekannten, nicht wie einen Sohn. Und sie verdrängt, was es für ihn bedeuten wird, wenn er den wahren Grund der Reise herausfindet.
Kicki wäre nur eine gefühlskalte Hexe, wenn die wundervolle schwedische Schauspielerin Pernilla August (Anakin Skywalkers Mutter aus "Star Wars - Die dunkle Bedrohung") sie nicht mit so einer echten melancholischen Wärme verkörpern würde, dass man bei all ihren Fehlern doch immer an Kicki glauben will. Vor allem Regisseur Liu selbst, der seinen Film in der kühlen Bildsprache des typisch-skandinavischen Arthouse-Realismus beginnt und dann mit immer herzhafteren (und immer eleganten) Infusionen typisch-asiatischer Gefühls-Melodramatik zum Leben erweckt.
Liu will dieser Frau unbedingt ein Happy End gönnen, und er schafft es, auch den Zuschauer langsam zu überzeugen, dass sie es verdient hat.
Am Ende steigert sich der Film dabei in eine nicht ganz glaubhafte Gangstergeschichte hinein, die aber Kicki die Gelegenheit gibt, so sehr Löwenmutter zu sein, wie sie es eben gerade sein kann. Und Viktor (herzerweichend gespielt von Ludwig Palmell) darf sich nicht nur Hoffnungen auf mehr Mutterliebe machen, sondern auch noch einem liebenswerten Straßenjungen näherkommen, dessen Motive sich ebenfalls als ehrenhafter erweisen, als zuerst gedacht. Vielleicht ist sogar der Geschäftsmann nicht der ganz große Schuft, der er lange zu sein schein.
"Miss Kicki" ist ein ruhiger, bedingungslos herzlicher Film, der an die Menschlichkeit glaubt. Davon könnte es ruhig ein paar mehr geben.
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