Am Abend des 09. November 1989 fiel in Berlin die Mauer - aber nicht nur. Im altehrwürdigen Kino International, heute eine angesagte Partylocation für Schwule und Lesben, feierte der erste und einzige Schwulenfilm der DDR seine Premiere.
„Natürlich war das Kino International voll. Die Atmosphäre knisterte“, beschreibt Lothar Bisky, ehemaliger Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam, die Atmosphäre. Es ist der Abend des 9.November 1989. Während die Mauer fällt, bekommen die Premierengäste im Kino nichts mit. Denn sie sehen den ersten Schwulenfilm der DDR. Sein Name ganz schlicht: Coming Out.
Auf der Leinwand liegt ein junger Mann im Krankenhaus. Seine Haut ist blass; er ist kraftlos und nahe der Bewusstlosigkeit. Ein Team aus Ärzten und Pflegern redet auf ihn ein, will ihn retten. Sie führen einen Schlauch in seinen Mund.
Immer tiefer. Bis in den Magen. Matthias, so heißt der junge Mann auf der Liege, würgt. Seine Augen tränen. Die Maschine saugt. Sein Oberkörper bäumt sich auf – bis alles raus ist. „Warum haben Sie das gemacht?“, fragt die Ärztin später. Matthias antwortet nach einigem zögern: „Ich bin schwul, bin homosexuell.“
Schwule in der DDR: Von der STASI bespitzelt
Leicht war es nicht, in der DDR schwul zu sein. Zwar wurde bereits 1957 die Bestrafung von Homosexuellen abgeschafft, sofern sie keinen Schaden für die sozialistische Gesellschaft darstellten. Trotzdem konnten sie nicht offen leben. Die STASI vermerkte Schwule auf Rosa Listen und in der Öffentlichkeit wurde über Homosexualität geschwiegen. So verwundert es nicht, dass der Regisseur Heiner Carow sieben Jahr lang kämpfen musste, ehe er „Coming Out“ produzieren konnte.
Im Film geht es um den jungen Lehrer Phillip, der ganz frisch in einer Beziehung mit seiner Kollegin Tanja lebt. Als sie ihm ihren Freund Jakob vorstellt, entpuppt sich dieser als alte Jugendliebe von Philipp. Jakob ruft in Philipp Gefühle hoch, die er erfolgreich verdrängt hatte; Gefühle die ihn Angst machten und ihn nun erneut verunsichern. Philipp gerät in eine Krise und muss nach seinem wahren „Ich“ suchen. Dabei lernt er in einen Schwulenbar den jüngeren Matthias, eben jenen aus dem Krankenhaus, kennen und verliebt sich in ihn.
Realistische Ästhetik und keine bösen Heteros
„Coming Out“ wirkt im Vergleich zu anderen Spielfilmen, die sich mit dem Thema Homosexualität beschäftigen, realistisch. Die Geschichte wird nicht überdramatisiert, Regisseur Carow erzählt sie langsam und lässt Zeit für Beobachtungen (z.B. während der Opern- und Konzertbesuche von Philipp oder in der Schwulenbar). Dabei scheut sich Carow nicht, Schwule –und vereinzelt auch Lesben– als ernste Persönlichkeiten in verschiedenen Facetten zu zeigen, etwa als Lederkerle oder feminine Thekendamen.
Der größte Verdienst des Filmes ist aber, dass er nicht das gängige Klischee der bösen Heterosexuellen bedient. Es gibt kein Opfer-Täter-Verhältnis und deshalb auch keine Anklage an irgendjemanden. Das war auch das Anliegen Carows: “Das Tabu ist in den Leuten [...], aber eigentlich habe ich diesen Film über die Liebe und die Ehrlichkeit gemacht, über Gefühle und die Wichtigkeit der Liebe und dass man sich nur entfalten kann, wenn man liebt und geliebt wird. Und da spielt es im Grunde keine Rolle, wen man liebt.“
Hier kannst du dich kostenlos registrieren